Der Name des Reinhard-und-Max-Mannesmann-Gymnasiums

Die Brüder Reinhard und Max Mannesmann erfanden das erste Verfahren zur Herstellung nahtloser Rohre. Unsere Schule wurde in der Nähe des ehemaligen Mannesmann-Hüttenwerkes in Duisburg-Huckingen erbaut (heute Hüttenwerke Krupp-Mannesmann / HKM). Die Leiter des Werkes haben unsere Schule besondes in der Aufbauphase wohlwollend gefördert.

Die Gründung des MMG

1. Der Urplan

Vor fünfundzwanzig Jahren wurde diese Schule gegründet als ein neues Domizil in der pädagogischen Provinz, das sich gleich am Beginn mit der ehrenden Hausmarke einer Reformschule schmücken durfte.

Das war kein Akt einer pädagogischen Revolution, eher schon konnte das Vorhaben durch ein Wort des Prinzen Max von Baden charakterisiert werden. Der Prinz wurde einmal gefragt, was denn das ursprünglich Neue an der nachmals berühmten Reformschule Salem in seinem Lande sei. Er sagte bescheiden, originell sei strenggenommen gar nichts, man habe nur das Beste vom bewährten Guten für den Plan der Schule zusammengetragen. Und dann fügte er überraschend hinzu: „Ich würde es mir auch verbitten, wenn mir der Blinddarm auf eine möglichst originelle Weise herausgenommen werden sollte.“

Der Prinz bevorzugte offenkundig (und die geistigen Väter dieser Schule taten es ihm nach) eine schulische Entwicklung, die sich wie der Strom des geschichtlichen Lebens überhaupt aus Zuflüssen erneuert, die in Traditionen, in den Notwendigkeiten des Lebens und in den Entwürfen für die Zukunft ihren Ursprung haben.

Auch das Reinhard und Max Mannesmann-Gymnasium hat mit seinem „Urplan“ des Jahres 1965, den wir in der Schrift „Gestaltungsansatz Offenheit“ wiedergegeben finden, nicht den Eindruck erwecken wollen, als seien alle beabsichtigten guten Taten seiner geistigen Väter deren ungewöhnlicher Kreativität entsprungen. Eher schon ist von einem kenntnisreichen und kritischen Sichten der in der geschichtlichen Erinnerung aufgehobenen großen pädagogischen Gedanken und Entwürfe zu sprechen, die freilich einzubringen waren in den Orientierungshorizont unserer Tage. Und in diesem Verständnis darf der „Urplan“ dann doch als etwas Eigenes gewürdigt werden.

2. Leitbegriffe

Über der Konzeption dieser Schule hätte Pestalozzis Wort stehen können: „Das Leben bildet.“ Daß das Schulleben ein Abbild des realen Lebens sein müsse, war ein tragender Gedanke des Schulplans dieses Tagesheim-Gymnasiums. Wir finden in dem Plan die Leitbegriffe des Gemeinschaftslebens, der Kooperation, der Gegenseitigkeit und der sozialen Geborgenheit. Offenkundig ist die Familie das Vorbild, jene Urgemeinschaft, die überhaupt erst die Erhaltung und das Fortschreiten der Spezies Mensch ermöglicht hat.

Große pädagogische Anreger und Reformer haben sich an der Familie als einer Lebens und Erziehungsgemeinschaft orientiert. Pestalozzi sieht in der Mutter und der „Wohnstube“ das Maßbild für schulische Erziehung. Seine Bücher, die zu Bestsellern der Gebildeten Europas wurden, weisen die idealen Strukturen familiären Lebens auf, das er als ein großes Paradigma der öffentlichen Erziehung anempfiehlt.

Auch Hermann Lietz, der Schöpfer der Landerziehungsheime, darf zu den Anregern unserer Schule gezählt werden. In ahnlicher Weise wie Pestalozzi ist auch ihm die Familie die natürliche Erziehungsgemeinschaft, deren Formen und Gewohnheiten er in seinen Heimen nachbildet. Seine Lehrer standen einer Schülergruppe als „Familienvater“ vor, die Gruppe sitzt als „Familie“ bei den Mahlzeiten, und als solche feiert sie ihre Abendrunde.

Peter Petersen, Jenaer Universitätsprofessor und Schulleiter in einem, hat nach eigenen Erprobungen die großartige Theorie eines gemeinsamen Schullebens von Schülern, Eltern und Lehrern entworfen. Seine Lebensgemeinschaftsschule, die er in den Dienst der gewachsenen Ordnungen stellt, ist an den Lebensformen und Gewohnheiten des menschlichen Zusammenlebens orientiert. Da haben die Schrecken der alten Lemschule ihre Herrschaft verloren: der Drill, der im Zwangsdialog hochnotpeinlich verhörte Schüler, der Götze Schulstoff, der dem zürnenden Zeus ähnliche Lehrer. Man kommuniziert wie unter lebendigen Menschen sonst auch, es dominieren das Gespräch und die persönliche Hilfe; man sitzt im „Kreis“, sieht einander ins Gesicht statt auf den Rücken; man findet sich nach ernstem Lernen zu Spiel und Feier zusammen.

Die großen Reformen waren allesamt dem Leben abgelauscht, dieses allein bilde, hatte Pestalozzi gesagt, aber auch die treue Nachahmung in der Schule, so hoffte man, würde die Bildungswirkung des Lebens nicht verfehlen.

3. Schulplan

Nichts anderes will der ursprüngliche Schulplan dieses Gymnasiums. Auch hier soll der Rhythmus des Lebens herrschen: der Wechsel von ernster Arbeit, Spiel und Freizeit. Und auch der Mittagstisch darf als ein pädagogisch wichtiges Abbild der Lebenswirklichkeit aufgefaßt werden.

Und noch einen anderen bedeutenden geschichtlichen Impuls hat der Plan der ersten Stunde unserer Schule aufgenommen. Wir lesen von der angestrebten Selbständigkeit des Schülers, von seiner Vorbereitung auf ein Selbststudium.
Selbstbildung, Selbstformung und Selbsttätigkeit – dies sind auch Schlüsselworte des geistvollen Wilhelm von Humboldt in seiner Bildungskonzeption. Er ist seiner gewiß: nur in dieser geistigen Haltung könne sich Individualität bilden, nur so ließe sich das eigene Wesen ausprägen und letztlich wahre Menschlichkeit gewinnen.

Im „lebenslangen Lernen“ unserer Tage scheint der Humboldtsche Gedanke wieder aufzuleben. Er tut es nur begrenzt. Humboldt meinte nicht so sehr die Nützlichkeit des Wissens; die Schule als „Sozialchancenzuteilungsanstalt“ (Schelsky) wäre ihm ein Greuel gewesen. Er fragte, was der individuelle Mensch durch Bildung gewinnen könne, und antwortete: das Glück der Erfüllung und das Bewußtsein der Freiheit. Die Humboldtschen Maximen verdienen Nachdenklichkeit in einer Schule, die auf ein Leben in den Zwängen der technischen Zivilisation vorbereiten will.

4. Namenswahl

Bei der Betrachtung des „Urplans“ unserer Schule hatten wir als ein bestimmendes Kennzeichen seine Lebensbezogenheit bemerkt. Diese Tendenz hat offenkundig auch die Namenswahl unseres Gymnasiums beeinflußt. Wir sprechen als eilige Alltagsmenschen meist verkürzt vom „Mannesmann-Gymnasium“. Wir sollten im stillen immer die Namen der beiden Brüder Reinhard und Max mitdenken, die die Namenspatrone der Schule sind. Beide sind für die Schulgemeinde eine unvergleichliche Brücke in das moderne Leben.

In unserem Zusammenhang sind nicht die genialen Erfinder zu preisen, die großen Talente von lebendigster technischer Phantasie, die grübelnden Naturen von einer unstillbaren Leidenschaft des Forschens und Entdeckens. Das alles rühmte die technische Welt, aber auch die Gesellschaft, die ihnen den Beitrag zu einer besseren „Lebensqualität“ dankte. Eine große Faszination kann allein von dieser Ansicht des Bildes der Brüder Mannesmann ausgehen! Darin aber erschöpft sich das Leitbildhafte unserer Namenspatrone nicht. Die menschlichen Aspekte ihrer Hochleistungen sind als Richtmaß der Erziehung nicht geringer zu veranschlagen.

5. Familie

In dem bewegten Leben der Brüder Reinhard und Max war die Familie der tragende Grund. Der Vater, ein liberal und sozial gesinnter Mann, hatte zu den Aufständischen von 1848 gehört. Seiner Fabrik stand er wie seiner Familie in patriarchalischer Fürsorge vor. Als 1873 in Remscheid 6000 Arbeiter erbittert streikten, baten sie Reinhard Mannesmann sen., daß er ihren Streik schlichte.

Unter den Fabrikherren Remscheids war er es, der das Vertrauen der Arbeiter besaß. Am Ende seiner Tage verfaßte er für seine Arbeiter eine Schrift. Sie ist die Hinterlassenschaft des guten Hausvaters, der seine Schutzbefohlenen zu einem verantwortlichen und glücklichen Leben anleiten will.

Eine solche Atmosphäre der tätigen Solidarität herrschte auch in der Familie selbst. Die großen Erfindungen der Brüder Reinhard und Max waren Produkte brüderlicher Teamarbeit. Ihre unterschiedlichen geistigen Strukturen, die geniale Intuition des einen und die strenge Systematik des anderen, waren eingegangen in einen gemeinsamen Weg der Erkenntnis.

Dabei war es keineswegs so, daß den Brüdern das individuelle Hochgefühl schöpferischer Naturen fremd gewesen wäre. Max schrieb einmal:
„Was ich unter Glück verstehe? Die Empfindung der Bestätigung der uns innewohnenden körperlichen und geistigen Kräfte. Für das höchste Glück halte ich: den Moment der Erkenntnis einer neuen Wahrheit!“

6. Wir-Bewusstsein

Was hätte näher gelegen, als den Triumph, der erste unter Suchenden und Erkennenden zu sein, auch persönlich auszukosten! Aber solche Empfindungen haben die Brüder Mannesmann wohl in sich selbst verschlossen. Denn vor der Welt dominierte das familiäre Wir-Bewußtsein . Welchen geradezu demonstrativen Charakter diese Haltung haben konnte, zeigt eine aufschlußreiche Episode.

Sechs Brüder Mannesmann arbeiteten an der Entwicklung eines sogenannten Hängeglühlichts, was ihnen schließlich auch gelang. Die bedeutsame, im Jahre 1900 patentierte Erfindung führte zu einer weiten Verbreitung dieses neuen Gebrauchs des Gasglühlichtes. Wer aber der sechs Brüder hatte zuerst den aufblitzenden Gedanken des Erfinders? Es gelang niemandem, dies festzustellen. Die Brüder bestanden darauf, den Einfall gemeinsam gehabt zu haben. Die brüderliche Solidarität war stärker als das Verlangen nach Geltung.

Ich habe ein wenig länger bei der familiären Ansicht des reichen Charakterbildes von Reinhard und Max Mannesmann verweilt, weil es die Familie war, die sie trug, die ihre Weltansicht und ihre Lebensprinzipien prägte. Die Hervorhebung dieses Aspektes geschah nicht absichtslos. Ich habe nachweisen wollen, daß sich die Namenspatrone unserer Schule so nahtlos in den „Urplan“ fügen, wie es die Röhren waren, die die Brüder genial erfanden. Reinhard und Max Mannesmann und ihre Familie lassen höchst anschaulich Sinn und Wert einer Lebensgemeinschaft erkennen. Ihr Bild hat eine ideale Funktion im Plan einer Schule, die ihren Namen trägt.